Bruce Straight
Die Digitalisierung des Vertriebs

Neulich unterhielt ich mich mit einem Freund, der mir von seinem neuen Job bei einem großen österreichischen Unternehmen erzählte, wo er für die Optimierung und Verschlankung der Vertriebsprozesse durch Einsatz neuer Technologien verantwortlich ist. Er schwärmte überschwänglich von all den Tools und Prozessen, die seine Firma zur „Digitalisierung des Vertriebs“ einsetzt, aber ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Im Grunde berichtete er von einer CRM-Software, die seine Firma gerade anschaffte.
Ich wurde jedoch hellhörig, als er sagte: „Es ist unglaublich, dass wir damals [er meinte die 1990er Jahre] überhaupt etwas verkauft haben. Denke nur an all die früheren Verkaufsgötter, die hatten gar nichts, sie gingen einfach raus und verkauften. Es ist verrückt!“
Was genau ist hier verrückt?
Ist es verrückt, dass in der Vergangenheit viele Vertriebsmitarbeiter weniger strukturiert und prozessorientiert waren und trotzdem immensen Erfolg hatten? Oder, dass es in den letzten 15 Jahren einer ganzen Industrie gelungen ist, professionelle Vertriebsorganisationen davon zu überzeugen, in Software-Tools zu investieren, um künftig erfolgreich sein zu können?
Tech-Unternehmen, die cloudbasierte CRM-Software vertreiben, gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Die meisten haben ultra-hippe Namen wie Freshworks oder Scoro, schicke, sexy Benutzeroberflächen und versuchen mittels Gamification-Ansätzen die Kundendateneingabe unterhaltsam und erfüllend zu machen. Laut Prognosen werden mit CRM-Software bis 2025 80 Milliarden USD Umsatz erzielt werden. Um das in Perspektive zu setzen: der Markt für Bürosoftware (Office Programme, E-Mail Programme, usw.) wird bis 2025 nur 31,5 Milliarden USD erreichen.
Was versprechen CRM-Software Anbieter?
Das Versprechen von CRM-Software ist verlockend, ein Anbieter preist es so: „Die wertvollsten Kunden im Laufe der Zeit zu identifizieren und die Kundenloyalität durch maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen. Es senkt auch die Kosten für die Betreuung dieser Kunden und erleichtert die Akquise ähnlicher Kunden in der Zukunft.“
Wow! Wer sagt nicht „Das muss ich unbedingt haben.“
Tracking ist der heilige Gral der CRM-Software. Man sammelt und protokolliert akribisch Kundendaten, E-Mails, Telefonanrufe, Kundengespräche und andere Interaktionen sowie Kundenreaktionen auf Online-Marketinginitiativen. Dann gibt man all diese Daten in die CRM-Software ein und der geheime Algorithmus verarbeitet sie und spuckt unglaubliche neue Erkenntnisse aus, die das Geschäft revolutionieren und Vertriebsaktivitäten besser fokussieren.
Obwohl das Sammeln und Analysieren von Kundendaten für die Sicherstellung des laufenden Umsatzes und damit der finanziellen Stabilität eines jeden Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind, erweisen sich die Versprechungen von CRM-Software allzu oft als überzogen.
Woran liegt das eigentlich?
Meine kürzliche Google-Suche „Was ist CRM?“ ergab 293.000.000 Antworten in 0,76 Sekunden. Die Top 3 waren:
„CRM ist eine Strategie, die Unternehmen verwenden, um die Interaktionen mit Kunden und potenziellen Kunden zu verwalten.“
„CRM ist eine unternehmensweite Geschäftsstrategie, die darauf abzielt, den Umsatz und die Rentabilität zu verbessern, die Kosten zu senken und die Kundenbindung zu erhöhen.“
„CRM ist eine Kombination aus Geschäftsstrategien, und Prozessen, die dabei helfen, dauerhafte Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Kunden aufzubauen.“
Daraus habe ich zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen:
Die Worte „Technologie“ und „Software“ sind in den Definitionen auffällig nicht enthalten. CRM ist kein Software-Tool, das Kundenbeziehungen für Sie verwaltet. Es kann zwar Software beinhalten, setzt aber voraus, dass bereits eine traditionelle Strategie zur Kundengewinnung und -bindung vorhanden ist, bevor Investitionen getätigt werden. Übrigens stammen alle drei Definitionen von CRM-Software-Anbietern.
Offenbar hat CRM-Software mit dem eigentlichen Prozess des Verkaufens, dem eigentlichen Tun, nichts zu tun. Auch die Worte „Vertrieb“ und „Verkauf“ sind auffällig abwesend und werden kein einziges Mal erwähnt.
Was können CRM-System und wo liegen ihre Grenzen?
Ja, CRM-Systeme speichern Information und machen diese im Unternehmen auf breiter Ebene zugänglich. Vorausgesetzt, dass diese Informationen eine hohe Qualität aufweisen, können Algorithmen daraus gewisse Bewertungen vornehmen und daraus Handlungsempfehlungen und Prioritäten ableiten.
Gut gepflegte CRM-Systeme verhindern Informationsinseln und verhindern, dass Wissen über einen Kunden an einen Vertriebsmitarbeiter gebunden ist. Für Führungskräfte eröffnen sie Kontrollmöglichkeiten und daraus Steuerungsmöglichkeiten.
Was ein CRM-System allerdings nicht kann:
CRM-Software holt keine relevanten Informationen über Kunden und potenzielle Kunden ein. Das muss Ihr Vertrieb machen und diese Daten auch ins Systems einpflegen. In der Praxis erweist sich genau dieser Punkt oft als Erfolgsbremser.
CRM-Software verbessert nicht Ihr Produkt- oder Dienstleistungsangebot.
CRM-Software verbessert nicht Ihre Vertriebs- und Kommunikationsfähigkeiten.
CRM-Software baut keine Beziehungen zu Ihren Kunden auf oder pflegt diese nachhaltig.
CRM-Software führt keine Kundenanrufe für Sie durch.
CRM-Software vereinbart keine Kundentermine für Sie.
CRM-Software schreibt keine ansprechenden Angebote für Sie.
CRM-Systeme nehmen einer Führungskraft nicht ihre Führungsaufgaben in Richtung Kontrolle, Zielvorgaben und -kommunikation, Coaching, usw. ab.
CRM-Software motiviert Ihre Vertriebsmitarbeiter nicht dazu, schwierige, unbeliebte, aber ertragsversprechende Kunden zu kontaktieren oder andere unbeliebte, aber notwendige Aufgaben anzupacken.
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